Von Arbeit in Arbeit
19.10.2021
In Zeiten des industriellen und digitalen Wandels gehen Unternehmen neue Wege in der Personalarbeit.
von Filiz Albrecht, Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin der Robert Bosch GmbH
Alle sprechen vom Wandel, aber jeder versteht ihn anders. An den großen Gestaltungsaufgaben unserer Zeit kommt keiner vorbei, egal ob am Klimaschutz oder an der Digitalisierung. Für Unternehmen liegen hier große Wachstumschancen, sei es beim Übergang in die Elektromobilität, sei es beim Einsatz künstlicher Intelligenz zum Wohl der Menschen. Viele Mitarbeiter dagegen fragen nach der Zukunft ihrer Arbeitsplätze. Wie diese beiden Sichtweisen zusammenbringen, den Wandel als Chance und den Wandel als Grund zur Sorge? Gelingen kann dies nur, wenn Unternehmen nicht nur in ihrer Forschung und Entwicklung, sondern auch in ihrer Personalarbeit innovativ sind. Der Wandel ist so fundamental, dass seine Akzeptanz mehr soziale Verantwortung braucht.
Auf die Bedürfnisse der Menschen Rücksicht nehmen
Einfach wird das nicht. Wie können unternehmerische Entscheidungen auf die Bedürfnisse der Menschen Rücksicht nehmen – das ist die Frage. Die verantwortliche Begleitung der vor uns liegenden Veränderungen beginnt mit der klaren Erkenntnis, was Menschen bewegt, wenn sie sich nicht bewegen wollen – manchmal auch nicht können. Die einen hängen an ihrer Region, andere haben familiäre Gründe. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat das in seiner Studie über den „flexiblen Menschen“ anhand moderner Erwerbsbiografien untersucht. Flexibilität sei das, was mehr denn je die Arbeitswelt ausmache. Die Familienwelt, allen voran die Kindererziehung, erfordere jedoch oft genug das Gegenteil, nämlich Stabilität. Diese beiden Welten in Einklang zu bringen – das ist exakt die Herausforderung, die hinter jeder Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung steckt. Zum einen sind langfristige Perspektiven gefordert, zum anderen zeigt sich die Unsicherheit des Marktes. Was Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter jedoch einen sollte, ist eine unmissverständliche Einsicht: Arbeitslosigkeit wäre unternehmerisch und gesellschaftlich die teuerste Form, mit dem Wandel umzugehen. Daher muss es darum gehen, die Menschen von einer Arbeit in eine andere zu bringen.
Zwei neue Ansätze der Personalarbeit
Wie kann das gelingen? Vor allem über zwei neue Ansätze der Personalarbeit. Der eine Weg führt über Online-Plattformen, um Mitarbeiter im eigenen Unternehmen schneller als bisher aus einem schrumpfenden in einen wachsenden Bereich vermitteln zu können. Der andere Weg setzt einen firmenübergreifenden Austausch voraus, der wie eine Arbeitsmarkt-Drehscheibe wirken kann. Ob innerhalb des eigenen Unternehmens oder darüber hinaus – in jedem Fall gilt es, Querbewegungen von Mitarbeitern zu erleichtern, weg aus einem auslaufenden Geschäft, hin zu Arbeitsplätzen mit Perspektive.
Diese Art der Personalarbeit hilft Beschäftigung zu sichern. Aber sie ist aufwändig, sie erfordert individuelle Überzeugungsarbeit und Flexibilität zugleich. Im besten Fall jedoch können alle Beteiligten gewinnen: Die abgebenden Bereiche oder Firmen werden ihrer sozialen Verantwortung gerecht, die aufnehmenden können dringend benötigte Stellen besetzen – und vor allem bekommen die betroffenen Mitarbeiter neue Chancen. Das Beispiel Bosch zeigt, wie auch unter Veränderungsdruck eine „Win-win-Situation“ entstehen kann.
Gleich in mehrfacher Hinsicht durchlebt Bosch einen fundamentalen Wandel: Als Industrieunternehmen, das zum führenden Anbieter im Internet der Dinge geworden ist. Als Automobilzulieferer, der nach Benzin- und Dieselsystemen die Elektromobilität zum Kerngeschäft macht. Längst findet dieser Wandel auch in der Belegschaft statt. Zum Jahresende werden zum Beispiel 1 600 Mitarbeiter für die Brennstoffzelle tätig sein, davon kommen gut 90 Prozent aus dem Verbrenner-Geschäft. Und schon jetzt beschäftigt Bosch rund 34 000 Software-Entwickler – Tendenz weiter steigend. Der zunehmende Bedarf wird hier auch durch interne Qualifikation gedeckt. Das Programm „Mission to move“ bildet Beschäftigte aus der klassischen Antriebstechnik für die Zukunft der Mobilität weiter. Damit sind bisher 400 Mitarbeiter für die Übernahme auf neue Stellen vorbereitet worden.
400
Mitarbeiter wurden durch das Programm „Mission to move“ für die Übernahme auf neue Stellen vorbereitet.
Eine neue unternehmensweite Vermittlungsplattform
Eben diese Dynamik wird durch die neuen Methoden der Personalarbeit unterstützt. So hat Bosch eine unternehmensweite Vermittlungsplattform aufgebaut. Allein damit ließen sich in sechs Monaten nahezu 100 Ingenieure für ein großes Fahrzeugcomputer-Projekt gewinnen – davon kam ein Viertel aus dem klassischen Antriebsgeschäft. Natürlich ist nicht jeder Maschinenbauer auf Anhieb ein Software-Spezialist. Die Plattform Transfer 2.0 hilft, Lücken im Knowhow aufzudecken und zu schließen. Auf den sogenannten „Skill-Matcher“ können auch die Mitarbeiter selbst zugreifen – sie geben ein, was sie mitbringen, sie sehen mögliche Stellen und die nötigen Schulungsmaßnahmen. Wenn es passt, teilen sich der abgebende und der aufnehmende Bereich die Kosten der Qualifikation. Alles dies beschleunigt den Wandel innerhalb der eigenen Belegschaft.
Personalarbeit muss über Firmengrenzen hinausdenken
Doch kann der Veränderungsdruck so groß sein, dass die Personalarbeit über Firmengrenzen hinausdenken muss. Dies ist der Ansatz des „Cross-Company-Recruiting“. So hat Bosch für die eigenen Zukunftsaufgaben bereits von anderen Firmen dringend benötigte Mitarbeiter übernommen – und umgekehrt Infoveranstaltungen etwa für Bahn, Bundeswehr oder auch Hochschulen ausgerichtet, um bei Bedarf Beschäftigten eine Alternative zu bieten. Solch eine Arbeitsmarkt-Drehscheibe funktioniert besonders gut regional. Beispiel Ost-Württemberg, wo gleich mehrere Unternehmen gemeinsam mit Bildungswerk, Agentur für Arbeit, Südwestmetall und IG Metall einen Beschäftigungs- und Qualifikationsverbund aufgebaut haben. Hier hat Bosch mit Schwäbisch-Gmünd einen Standort, der Personal reduzieren muss. Bereits 30 Mitarbeiter sind über den Verbund zu anderen Firmen in der Region gewechselt, zum Beispiel zu Zeiss. Gefördert wird dies durch Weiterbildungsangebote, Kontaktanbahnung und nicht zuletzt durch eine unternehmensübergreifende Online-Plattform, auf die wiederum die Mitarbeiter selbst zugreifen können. Das Ziel aller Beteiligten: möglichst durchgehende und nachhaltige Beschäftigung.
Balance zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen
Dabei kann und muss die Politik helfen. Auf europäischer Ebene hat sie gerade erst mit ambitionierten Klimaschutz-Zielen für den Straßenverkehr die Weichen in Richtung Elektromobilität gestellt. Ein Unternehmen wie Bosch, das weltweit alle Standorte bereits CO₂-neutral gestellt hat, trägt dies mit – aber es muss auch möglichst viele Mitarbeiter mitnehmen. Das gehört zum Hintergrund der neuen Wege in der Personalarbeit – Investitionen in Qualifikation und Weiterbildung inklusive. An diesem Punkt wird unternehmerische Verantwortung konkret – in der schwierigen, aber notwendigen Balance zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen. Dabei ist eine Politik, die strenge technologische Vorgaben für die Transformation der Industrie macht, in der Mitverantwortung. Vor allem sollte sie die Qualifikation und den Transfer von Mitarbeitern in Zukunftsfelder deutlich intensiver als bisher fördern. Dieses politische Ziel verfolgt Bosch gemeinsam mit anderen großen Unternehmen in einer „Allianz der Chancen“. Es geht um nichts weniger als um den Schutz des Klimas in unserer Gesellschaft.
Erstveröffentlichung im Tagesspiegel am 19. Oktober 2021